… oder die Schemata der Welt
Schemata* sind die in Ihrem Gehirn etablierten tieferen Bedeutungen von Worten und anderen abstrakten Konzepten, die beeinflussen, wie Sie die Welt verstehen. Und natürlich auch, wie Sie Ihre Gesprächspartner verstehen.
Aber unsere Schemata bleiben uns unbewusst. Sie sind etwas grundlegend anderes als die Wort-Definitionen, die im Duden stehen.
Sie sind so etwas wie Erinnerungsmuster oder Assoziationen. All das eben, was unsere Erfahrungen uns gelehrt haben, mit einem Wort zu assoziieren, damit unsere Gehirne ihm Bedeutung abringen können.
Hier möchte Ihnen ein kleines Spiel vorstellen, mit dem Sie den wirklichen Bedeutungen, die Worte in Ihnen auslösen, etwas näher kommen können.
Vorbereitung
Dieses Spiel kann man mit zwei bis fünf Personen spielen (bzgl. Corona – es geht auch per Videokonferenz!). Jeder hat 5 Zettel und schreibt darauf 5 Wörter, die er/sie erforschen will, z.B.: Freiheit, Abenteuer, Rente, Liebe, Kampfgeist o.Ä. Es müssen allerdings nicht unbedingt abstrakte Konzepte sein.
Objekte, Orte, öffentliche Personen oder Sport-Aktivitäten gehen auch. Wichtig ist die Lust darauf, die Bedeutungen der gewählten Wörter näher zu erforschen.
Für dieses Spiel brauchen Sie außerdem einen Timer oder eine kleine Sanduhr. Je Runde beträgt die Spielzeit für den ersten Schritt eine Minute.
Der erste Schritt
Alle Karten kommen verdeckt auf einen Haufen (Lösung für Videokonferenz: mehrere Haufen erlauben); eine wird gezogen und vorgelesen.
Z.B. „Freiheit“. Jede/r Spieler/in hält ein Blatt Papier und einen Stift bereit, die Sanduhr wird umgedreht (oder der Timer gestartet) und die Aufgabe lautet:
Schreibe 20 frei assoziierte Wörter auf, die dir zu diesem Wort einfallen.
Also z.B. alle Begriffe, die Ihnen im Zusammenhang mit dem Wort „Freiheit“ einfallen.
Natürlich schreibt fast keiner in einer Minute 20 Wörter auf. Das wären 3 Sekunden pro Wort, und obwohl man das eine oder andere kurze Wort in 3 Sekunden schreiben kann, ist es für die meisten von uns unwahrscheinlich, dass wir in einer Minute 20 Wörter schreiben. Es ist also ein typisches „stretch goal“ – ein Ziel, nach dem wir uns strecken, das wir aber kaum erreichen können.
Die vorläufige Auswertung
So und als Teil der Auswertung gibt’s jetzt auch noch Punkte dafür, wie viele Wörter jede/r Spieler/in geschrieben hat! So’n Mist.
Das können Sie natürlich nach Belieben machen. Wenn Sie Punkte vergeben wollen, weil’s Ihnen so Spaß macht, ok. Wenn nicht, dann nicht.
Der Zeitdruck (1 Minute) und die Punkte sind eigentlich nur Ablenkungsmanöver gegen etwas, das man Selbst-Zensur nennt.
Sie zwingen Sie, automatisch auftauchenden Assoziationen freien Lauf zu lassen.
Bei dem Ziel „20 Wörter in einer Minute aufschreiben“ bleibt der Meta-Kognition nicht genug Zeit, sich Sorgen zu machen, ob es ok ist, dieses oder jenes Wort aufzuschreiben, was wohl die anderen darüber denken usw.
Der Zeitdruck macht Sie gewissermaßen ehrlicher, weil er Ihnen die Gelegenheit raubt, Ihre assoziativen Gedanken zu zensieren.
Und wenn man dann der Wortzahl auch noch Punkte gibt, erhöht das den Leistungsdruck – und somit die Wirkung gegen die Selbst-Zensur. Aber, wie gesagt, geht‘s auch ohne die Punkte; das entscheiden Sie. Oder Sie probieren beides mal aus.
Die Hauptauswertung
Viel wichtiger ist natürlich die Unterhaltung darüber, was Sie denn eigentlich geschrieben haben.
Sie werden sehen: freie Assoziation ist nicht „Wort-Definition“, und manche Assoziationen können einem selbst sehr merkwürdig vorkommen. Das ist ok.
Wenn bei „Freiheit“ jemand „Auto“ oder „Flieger“ geschrieben hat, dann geht es um Bewegungsfreiheit und ggf. das Freiheitsgefühl eines Urlaubs. „Gefängnis“ hingegen wäre eine gegenpolige Assoziation. Die gibt es auch. Aber was ist mit „Fisch“?
Da könnte man natürlich sagen: „Fische haben nichts mit Freiheit zu tun, du Depp. Du hast das Spiel nicht verstanden.“ Aber das wäre falsch. Irgendwoher kam dieser Gedanke ja schließlich.
Vielleicht erlebte diese Person einmal beim Angeln im Urlaub ein unglaublich schönes Freiheitsgefühl. Oder sie ist Fliegenfischerin und hat dieses Freiheitsgefühl (frei von Sorgen, von Stress, frei in ihrer Bewegung, frei in der Natur) mindestens ein Dutzend Mal pro Jahr. Wir wissen es nicht, und wir können niemandem vorschreiben, wie ihre/seine Assoziationen auszusehen haben.
Also gilt: Was auch immer auf dem Blatt gelandet ist in der einen, kostbaren Minute, hat Wert. Daraus können, wenn Sie sie positiv und offen gestalten, tiefgreifende Gespräche entstehen, die uns einander näher bringen, weil wir nicht mehr nur über das Wort „Freiheit“, sondern über unsere ganz persönlichen Bedeutungswelten reden.
Und wie Sie Gespräche positiv und offen gestalten, das wissen Sie ja schon vom Hörbuch.
;-)
„Gebt mir einen Hebel, der lang genug, und einen Angelpunkt, der stark genug ist, dann kann ich die Welt mit einer Hand bewegen.“
Dieses Zitat wird dem griechischen Physiker und Mathematiker Archimedes zugeschrieben, der im 3. Jahrhundert v. Chr. in Syrakus auf Sizilien lebte.
In den Eigenschaften und Handlungsmustern, die Ihre Gespräche beeinflussen, gibt es solche Hebel.
Wäre es nicht spannend, sie kennenzulernen?
*Es gibt nicht nur Schemata für Worte (die fallen z. Gt. in die Gruppe der Objekt-Schemata), sondern auch Personen-Schemata, soziale Schemata, Selbst-Schemata und prozessuale oder Event-Schemata. Karl-Heinz Flechsig unterscheidet z.B. in vier Repräsentationsebenen: „1. episodische Repräsentation (einfache Sachverhalte: beispielsweise das Anzünden einer
Zigarette), 2. kategorische Repräsentation (abstrakte Schemata: die Vorstellung einer Zigarettenschachtel, vom Rauchen, von der Suchtbefriedigung), 3. einfache hypothetische Repräsentation ([z.B.] Krankheit, Eigentum), 4. komplexe hypothetische Repräsentation („Weltbilder“, „Menschenbilder“, „Mythen“, „Lebensmuster“)“ [ ☞ Quelle]
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