Wie im Hörbuch versprochen, gibt es hier ein Entrainment-Experiment zum Nachstellen, in folgenden Schritten beschrieben und erörtert:
1 - Materialien
2 - Aufbau
3 - Ablauf
4 - Erkenntnisse
5 - Was bedeutet das für unsere Gespräche?
Neuronales Entrainment hat etwas Magisches; unsichtbare Kräfte sind am Werk.
Lassen Sie uns die physikalischen Gesetze, auf denen Entrainment beruht, direkt sichtbar machen und anhand eines Experiments erfahren,
das Sie selbst zuhause aufbauen können.
Das Entrainment in unseren Gehirnen ist für uns durch keine unserer 5 Sinne wahrnehmbar. Dieses Experiment macht es greifbar. Und los geht’s!
1 Holzbrett, ca. 10 x 30 cm. Die genaue Größe ist nicht so wichtig. 2 mechanische Metronome müssen darauf Platz haben, mit ca. 5-7 cm Abstand zueinander. Plastik oder Metall geht auch. Sollte ein festes Material sein. Holz (keine Spanplatte!) scheint gut mitzuschwingen.
2 Metallzylinder. Zur Not sauber zylindrisch geformte Gläser, Flaschen oder leere Dosen. Bedingungen: Festes Material, das sich nicht verbiegt; beide Zylinder haben den gleichen Durchmesser und haben keine Unebenheiten, rollen also hindernisfrei.
2 mechanische Metronome. Wichtig: Es geht um Schwingungen. Digitale Metronome bringen uns also hier nicht weiter. Falls Sie zwei von Huygens perfekt eingestellt Pendeluhren haben, ein größeres Brett und größere Rollen, dann geht’s damit natürlich auch.
Wir ersetzen Huygens Pendeluhren, anhand derer er dank seiner exzellenten Beobachtungsgabe das Gesetz des physikalischen Entrainments erkannte, mit Metronomen, und dementsprechend exakt müssen sie laufen.
Siehe Diagramm: Die zwei Zylinder nebeneinander, mit etwas Abstand, das Brett auf die Zylinder, die Metronome aufs Brett. Dabei darauf achten, dass die Zylinder unter dem Brett gut rollen können; der Untergrund sollte also ebenerdig, flach und fest sein. Z.B. eine Tischplatte.
Wir nehmen die Metronome nochmal vom Brett, stellen sie auf 90 BPM (Schläge pro Minute) ein und starten sie versetzt. D.h. sie schlagen – so wie damals Huygens‘ Pendeluhren – im gleichen Tempo aber nicht synchron.
Die Metronome werden jetzt auf das Brett gestellt und schlagen mit 90 BPM weiter. Wenn man genau hinsieht, merkt man, dass die Schwingungen der Metronome die Zylinder ganz leicht nach links und rechts bewegen. Wir haben also ein in sich schwingendes Gesamtsystem geschaffen, das aus 2 Zylindern, einem Brett und 2 Metronomen besteht.
Die Schwingungsauslöser sind die Metronome. Sie stehen hier übrigens nicht nur für Huygens‘ Uhren, sondern auch für zwei Gehirne in einem Gespräch. Die schwingen ja auch – elektromagnetisch. Und genauso wie unser Experimentaufbau ist auch ein Gespräch – wenn’s gut läuft – ein in sich schwingendes Gesamtsystem.
Und dieses Gesamtsystem beeinflussen die Schwingungen der Metronome so, dass es sich synchronisiert. Je nach Aufbau kann es einige Minuten dauern, doch nach einiger Zeit sollten sich die Taktschläge der zwei Metronome wie einer anhören.
Wir sehen: Zwei schwingende Objekte, die über ein frei mitschwingendes Medium (das Brett) verbunden sind, synchronisieren ihre Schwingungen.
Wir haben das vereinfacht mit gleichlangen Schwingungen dargestellt. Beide Metronome waren auf 90 BPM eingestellt.
Entrainment tritt in der Natur aber auch bei viel komplexer miteinander verwobenen Frequenzen auf.
Probieren Sie mal, ein Metronom auf 60 und das andere auf 120 BPM zu stellen. Dann dauert die Synchronisierung ggf. länger, aber ein deutlicher Entrainment-Effekt ist auch bei verwandten Frequenzen (1/2, 1/3, ¼ usw.) erkennbar.
Wie im Hörbuch schon erwähnt, findet Entrainment in unendlich vielen Situationen und Materialien statt. In Wellen, in Luftbewegungen, in Pflanzen und Tieren – und eben auch in unseren Gehirnen, wenn wir miteinander sprechen.
Der Neurowissenschaftler Uri Hasson hat gezeigt, dass sich die Gehirnwellen von Sprechern und Zuhörern – gutes Zuhören vorausgesetzt – auch synchronisieren. Wenn wir unsere Gehirnwellen sehen könnten, ließe sich daran also ablesen, wie gut wir uns gerade gegenseitig verstehen.
Das können wir aber nicht. Unsere Gehirnwellen bleiben für uns unsichtbar. Es sei denn, wir besuchen Uri in seinem Labor und legen uns in ein fMRI-Gerät.
Hier ist der TED-Talk von Uri Hasson: TED
In seinem Talk sagt Hasson etwas Wichtiges über die Bedingungen für neuronales Entrainment: Zwei Menschen, die sich gegenseitig verstehen wollen, brauchen darin Übung, und sie brauchen „common ground“: gemeinsame Nenner, auf die sie sich beziehen können.
Wenn wir miteinander reden – also wirklich miteinander und nicht aneinander vorbei – dann bauen wir diese gemeinsamen Nenner stetig auf.
Durch das Miteinander-Teilen erfahren unsere Gehirne ähnliche Realitäten, Erinnerungen und Gefühle.
Hasson betont daher, dass nichts das Miteinander-Reden ersetzen kann. Die gleichen Effekte entstehen nicht beim Nutzen von Sozialen Medien, Chatrooms, oder Messenger-Diensten. Wenn wir nicht genug miteinander sprechen oder wenn wir, wie Hasson sagt, Medienkanälen mit Agenda „das Mikrofon“ in die Hand drücken, dann übernehmen unsere Gehirne auch deren Agenda – oft auf Kosten unserer Fähigkeit, mit Menschen zu sprechen, die etwas anders denken. (Hasson spielt damit auf die ggw. starke gesellschaftliche Spaltung in den USA an, aber in Deutschland ist auch etwas Ähnliches im Gange.)
Denn genau diese Gespräche, in denen wir uns auch über unser Verschiedensein austauschen können, sind die, in denen wir uns besser kennenlernen. Aber ironischerweise brauchen wir dazu erstmal gemeinsame Nenner, denn die unterstützen die Synchronität.
Ein gutes Gespräch ist also immer ein Balanceakt: gemeinsame Nenner halten neuronales Entrainment aufrecht, aber unsere Verschiedenheit stellt es vor eine Herausforderung. Erst die Veränderungen in unseren Gehirnen, die durch das Verstehen des Andersartigen angestoßen werden, bauen wieder ein neues neuronales Entrainment auf.
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