Gespräche führen mit Hirn und Herz

Ein Blick

Übersicht der Erkenntnisse aus dem letzten Teil auf einen Blick.

Die vielfältigen Auswirkungen unserer konstruierten Realitäten

Zusammenfassung verschiedener Aspekte: Wie Ihr Gehirn Realität konstruiert, warum diese Konstrukte so subjektiv, so einzigartig sind, und wie sich das auf Ihre Gespräche auswirkt:

1. Ihr Gehirn steckt an einem „dunklen Ort“ (knochiger Schädel) fest. Es hat nur indirekten Zugang zu visuellen Daten, auditiven Daten etc. Die empfangenen Daten sind abstrakt (elektrochemische Signale).

2. Alles, was Ihr Gehirn über externe Realitäten versteht, hängt von Erwartungen, Überzeugungen und Annahmen ab, die hauptsächlich in der frühen Kindheit entwickelt wurden und die es ihm erlauben, die große Menge an elektrochemischen Signalen, die es empfängt, zu interpretieren und ihnen einen Sinn zu geben.

3. Ihr Gehirn nimmt die Realität nicht so wahr, wie sie ist. Es spiegelt die Realität nicht. Es konstruiert sie. Die Wahrnehmungsprozesse Ihres Geistes sind nicht wie die eines Fotokopierers; sie sind künstlerisch orientiert.

4. „Die Welt, die wir erleben, kommt genauso viel, wenn nicht sogar mehr, von innen nach außen als von außen nach innen.“ (Anil Seth)

5. KONSEQUENZ: Wenn Sie und ein Gesprächspartner sich über die Bedeutung einer wahrgenommenen Handlung nicht einig sind, können Sie dies bestenfalls als Ergebnis der einzigartigen Realitäts-Konstrukte Ihres einzigartigen Gehirns akzeptieren.

6. Die sensorische Wahrnehmung wird durch drei Filter beeinflusst: Fokus, Sinnesfunktionalität und Interpretation. D. h. a) wie sie Ihre Aufmerksam-keit steuern, b) wie Ihre Augen, Ohren etc. funktionieren und c) wie Ihr Gehirn gelernt hat, die eingehenden Daten zu interpretieren, beeinflussen die Art und Weise, wie Sie Ihre eigene, subjektive Realität konstruieren.

7. Farbe existiert nicht außerhalb Ihres Gehirns. Wenn die visuellen Daten den Sehnerv durchlaufen, sind sie bereits von den interpretativen Berechnungen des Opponent Process beeinflusst. Ihre Augen sehen keine Farbe. Nur Ihr Gehirn sieht Farbe. Farbe ist ein Konstrukt Ihres Geistes.

8. Um den Objekten, die Sie sehen, Bedeutung zu geben, zieht Ihr Gehirn riesige Mengen an Wissen und Daten (frühere Erwartungen und Überzeugungen) aus Ihrem Geist. Ihre Wahrnehmung ist eine Interpretation.

9. KONSEQUENZ: Wenn Sie und ein Gesprächspartner sich über ihre visuelle Wahrnehmung (die Farbe eines Kleides) nicht einig sind, akzeptieren Sie das am besten als Folge der einzigartigen Realitäts-Konstrukte Ihres einzigartigen Gehirns.

10. Ihre Wahrnehmung abstrakter Realitäten (Wörter, Sätze, Gedanken) wird durch kognitive Verzerrungen beeinflusst, wie z. B. den Illusionary Truth Effect, den Confirmation Bias, den Backfire-Effekt etc. Auch Ihre Überzeugungen und Glaubenssätze – alles, was Sie glauben – sind subjektive Konstrukte.



11. Einige Verzerrungen, wie der Illusionary Truth Effect, werden durch die Processing Fluency und den Wunsch des Gehirns, die kortikale Belastung zu reduzieren, beeinflusst.

12. KONSEQUENZ: Wenn Sie und Ihr Gesprächs-partner – insbesondere bei politischen oder religiösen Themen – sich nicht darüber einig sind, was wahr oder unwahr, was richtig oder falsch ist, dann sollten Sie sich gut überlegen, ob es sich lohnt, sich auf einen Streit einzulassen. Denn, wie Dale Carnegie es treffend ausdrückte: „Man kann einen Streit nicht gewinnen … denn wenn man verliert, verliert man; und wenn man gewinnt, verliert man.“

13. Symbole sind nicht gleich Bedeutung. In der menschlichen Sprache gibt es keine starren und verbindlichen Vereinbarungen über Symbol-Bedeutungs-Bindungen.

14. Die Beziehung zwischen einem Wort und seiner Bedeutung ist bestenfalls schwach – siehe de Saussure und Roth. Die Verknüpfung von Wörtern und ihren Bedeutungen ist ein Prozess, der in jedem Gehirn individuell abläuft.

15. Abstrakte Konzepte – Schemata – bilden die Grundlage dafür, wie man Wörter versteht; Schemata werden in Lernprozessen konstruiert, die meist sozial, immer subjektiv und hochgradig individualisiert sind.

16. Der Grad, in dem sich unsere Schemata teilweise überlappen, beeinflusst die zarten, zerbrechlichen Symbol-Bedeutungs-Bindungen, die uns erlauben, uns darauf zu einigen, dass ein Stuhl ein Stuhl und ein Baum ein Baum ist.

17. Je abstrakter ein Wort wird (Glück, Liebe, Automatismus), desto wahrscheinlicher wird es, dass unsere Schemata für dieses Wort anders sind und wir uns nicht ganz auf die Bedeutung dieses Wortes einigen können.

18. Das System der Schemata in unseren Gehirnen ist selbstreferentiell: Man kann nicht ein Schema erklären, ohne Hunderte oder Tausende anderer Schemata zu erklären.

19. Ihr Wissen darüber, wie in Ihrem eigenen Gehirn Schemata den Wörtern Bedeutung geben, ist unbewusst. D. h. wir sind als Menschen unfähig, unsere eigenen Schemata zu verstehen, geschweige denn die anderer Menschen.

20. KONSEQUENZ: Wir sind uns über die Bedeutungen fast aller Worte, die wir in Gesprächen verwenden, uneins, doch nicht so sehr, dass es uns auffällt. Und wenn doch, dann lohnt es sich, dies als Ergebnis der einzigartigen Realitäts-Konstrukte unserer einzigartigen Gehirne zu verstehen.

21. KONSEQUENZ: Jedes Gespräch ist ein Abenteuer. Mal ein kleines, mal ein großes. Je mehr wir uns in Gesprächen als Kontrollinstanz sehen, desto ärger werden wir enttäuscht. Je mehr wir bereit sind, uns auf die Überraschungen, die Abenteuer mit sich bringen, einzulassen, desto zielführender und bedeutungsvoller werden unsere Gespräche.

Insgesamt zeigt uns das: Ihr Gehirn konstruiert Realitäten. Es konstruiert Ihre Wahrnehmung der Außenwelt; es konstruiert die Bedeutungen einzelner Wörter und komplexer Sätze; es konstruiert Ihre Überzeugungen und Glaubenssätze. Und die Unterschiede zwischen Ihren Konstrukten und denen Ihrer Gesprächspartner werden nicht selten zu einer Hürde. Glücklicherweise ist diese Hürde nicht unüberwindbar – doch das bedarf einer besonderen Haltung.

Fazit: Unser Bestreben, gute, bedeutungsvolle Gespräche zu führen, ist vom Überwinden der Konstrukt-Hürde abhängig. Und je mehr wir durch innere Haltung, durch das Training zielführender Reflexe und durch gut gewählte Rahmen-bedingungen unsere Gehirne dabei unterstützen, desto eher fördern wir Vertrauen, Verbundenheit und gegenseitiges Verständnis.


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